Von Rhythmus und Ruhe / Tayfun Belgin, 2008
Von Rhythmus und Ruhe
Tayfun Belgin
Vor der Eroberung der Wirklichkeit durch die italienische Renaissance existierte einige Jahrhunderte lang – etwa zur Zeit der großen Song-Dynastie – in China eine Malerei, die sich gänzlich der Meditation hingab. Das Sichversenken in das Gesehene – die Landschaft, das Wasser, die Berge – hatte für das Bildermalen die höchste Bedeutung. In den Tuschmalereien mit landschaftlichen Darstellungen wurden mehr die Seele der Natur und der ihr innewohnende Geist ausgedrückt als ein bloßes Abbild der Natur geschaffen. Nach Fertigstellung kamen die auf Seidenrollen gemalten Werke in kostbare Behälter, um sie irgendwann in einem besinnlichen Augenblick zu genießen. Die meditative Betrachtung dieser Bilder des 12. und 13. Jahrhunderts war der eigentliche Zweck ihrer Herstellung. Sie wurden in ihrer Bedeutung den Werken der Dichter gleichgesetzt.
Folgt man der Malerin Rudolfine P. Rossmann in ihr Atelier, taucht man in eine Welt der Malerei ein, die an diese chinesischen Traditionen erinnert: eine Galerie großformatiger Papierarbeiten an den Wänden, andere Werke, die noch in Arbeit sind, auf den Tischen, dazwischen mittelgroße Schachteln mit Skizzen, die für besondere Präsentationen vorgesehen sind. Unser Blick wechselt zu den Leinwänden, die sich an einer anderen Wand ihren Platz erobert haben und deren Besonderheit darin besteht, mit den Arbeiten auf Papier in Kontrast zu stehen. Der Eindruck einer fernöstlich gestimmten Welt wird durch die penible Ordnung des Ateliers abgerundet, die lediglich hier und dort aufgebrochen wird.
Rudolfine P. Rossmann ist eine Künstlerin, die sich glücklich schätzt, die Möglichkeit zu vielen Arbeitsaufenthalten auf verschiedenen Kontinenten dieser Welt gehabt zu haben. Hierzu gehören längere Besuche in Südostasien, in China und Indonesien ebenso wie in den USA. Mag sein, dass dadurch der österreichische Kunstmarkt noch wenig Kenntnis von ihrer Malerei genommen hat. Ihre Kunst – und dies ist bedeutender als die Präsenz auf dem heimischen Markt – ist ohne die vielen Reisen kaum denkbar. Gerade in Südostasien, wo es sie immer wieder hinzieht, ist jene Begeisterung für die Arbeit mit kostbaren Papieren entstanden, die uns fasziniert.
Im Fall der China Series hat die Künstlerin kleine „drops“ von Tusche auf ursprünglich gefaltetes Xuan-Papier aufgetragen. Diese bilden eine Art All-over, das heißt, dass die Tuscheflecken sich ohne Rücksicht auf eine festgesetzte Bildmitte auf dem Papier ausbreiten. Die Anordnung der Tuscheflecken ist kompositionell bereits durchgedacht, bevor die Arbeit anfängt; Ordnung und gelegentliche Zufälle im Auftrag bestimmen das entstehende Bild. Die Guangdong Series aus den Jahren 2005 und 2006 sind mehrschichtige Tuschebilder; die Lagen wurden hintereinander gesetzt. Auf jeder Schicht fand sich eine spezifische Anordnung der „drops“, und der mehrschichtige Verbund vermittelt Räumlichkeit – eine Bildwelt, die das Ferne und das Nahe gleichermaßen betont, wobei die schwarzen Tuscheflecken sich in aller Regel auf die farblich hellere Fleckenschicht setzten. So ist diesen Werken eine kosmisch zu nennende Anmutung eigen.
Die Papierarbeiten nach den Guangdong Series ab dem Jahr 2007 sind gänzlich anders strukturiert. Sie haben lediglich eine Schicht, auf welche die „drops“ gesetzt werden. Selbstverständlich findet auch in diesen Arbeiten ein Spiel von Nähe und Ferne statt, vor allem wenn die „drops“ mal mit mehr, mal mit weniger Tusche aufgetragen sind. Diese Werke, in denen sich eine eher erdgebundene als kosmische Dimension ergibt, betonen mehr das prozesshafte Sein, indem sie sich mal von oben nach unten, mal von links nach rechts entwickeln und gelegentlich auch offene Stellen aufweisen. Kraftvolle Arbeiten wechseln mit weniger betont auftretenden Werken ab, in denen vor allem – um es musikalisch zu fassen – auf Fermaten geachtet wird. Diese entwickeln aus der Leere heraus ihr Sein: eine durch und durch fernöstliche Gestimmtheit.
Sicherlich nicht falsch ist es, bei jenen Werken, die eine offenere Struktur zeigen, von einer Art Spurensuche für das Auge zu sprechen. Ein Fleck folgt dem anderen, hier und da sind kleine Oasen, die mit der Tusche stärker betont werden, ansonsten breitet sich auf dem Papier eine Welt der fließenden Flecken aus. Hin und wieder öffnet sich eine Art Tor, oder es wird – kartografisch gesehen– unser Blick auf eine imaginäre Landschaft freigegeben.
Es ist wohl ein Grundprinzip Rudolfine P. Rossmanns, Gegensätze in ihrer künstlerischen Arbeit aufzuzeigen. Dies ist nichts anderes, als sich immer wieder dem Naturgesetz der Dialektik des Lebens zu widmen: fließend – starr, tief – flächig, geordnet – chaotisch usf. Ein Blick auf die Leinwandarbeiten der Künstlerin offenbart uns dieses Grundprinzip. In den streng wirkenden Werken aus den Jahren 2002 bis 2004 ist nichts dem Zufall überlassen: Ordnung dominiert. Ausgehend von der Serie Lejano Lane entstand mit der Dot-Serie eine Reihe von Leinwänden mit Eitempera. In dieser durch die intensiven Naturerfahrungen eines USA-Aufenthaltes inspirierten Gruppe von Werken ist nicht mehr ein mögliches In- und Übereinanderfließen der einzelnen Farbelemente wesentlich, sondern vielmehr die exakt gesetzten „dots“. Die „dots“ werden mit einem in Farbe getauchten Stempel aufgetragen, ihr Platz ist von vornherein bestimmt, da die Leinwand in entsprechende kleine Flächen aufgeteilt worden ist. Nun ähnelt aber nicht jeder dieser „dots“ von seiner Wirkung her einem anderen. Auch hier ist es die Farbe, die Modulationen hervorruft. Durch den geänderten Farbauftrag wird ein den Papierarbeiten entsprechendes Fluktuieren erzeugt.
Das Werk Badlands aus dem Jahr 2004 beispielsweise erinnert uns sehr an eine Weltkarte. Blaue und braune „dots“ sind abwechselnd gesetzt, sodass sich dem Auge ein Spiel von Figur und Grund aufdrängt. Einmal sehen wir uns die vordere Ebene an, einmal die hintere. Diese Welt des Bildrasters entspricht völlig unserer heutigen Wahrnehmungswelt, in denen viele Dinge in Form von Pixeln auf uns zukommen. Es liegt an uns, diese pixelierte Welt nicht für die alleinige Wahrheit zu halten. Künstlerinnen wie Rudolfine P. Rossmann führen uns immer wieder vor Augen, dass zum Sein auch immer das Prozesshafte gehört. Die Welt fließt und mit ihr die Kunst, diese Kunst.
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On Rhythm and Calm
Tayfun Belgin
Some centuries before the conquest of the world by the Italian Renaissance, China, about the time of the Song Dynasty, saw a kind of painting that completely indulged in meditation. Immersing oneself in what one saw—in the landscape, in water, in mountains—was vital for painting pictures. The ink paintings depicting sceneries rather express the soul of nature and its inherent spirit than aiming at providing us with a mere likeness. Painted on rolls of silk, the works were stored away in precious receptacles to be enjoyed in some contemplative moment at a later time. The actual purpose of these pictures of the twelfth and thirteenth centuries was their meditative contemplation. Their importance equaled those of works by poets.
Following the painter Rudolfine P. Rossmann into her studio, one plunges into a universe of painting reminiscent of these Chinese traditions: a gallery of large-format works on paper on the walls; other works, still unfinished, on tables; mid-size boxes with sketches for special presentations in between; canvases, contrasting with the works on paper, on another wall. Only slackening its grip here and there, the meticulous order that prevails in the studio rounds off the impression of a world tuned to the Far East.
Rudolfine P. Rossmann is an artist who counts herself lucky to have had many opportunities to work on different continents of the earth. These include longer stays in South East Asia, in China and Indonesia, as well as in the United States. This might explain why the Austrian art market is still only little aware of her paintings. Her art—and this is more significant than her presence on the local market—is hardly conceivable without these numerous travels. It was in South Asia, the region she often returned to, where her striking fascination with working on precious paper developed.
In the case of the China Series, the artist has applied small drops of ink on originally folded Xuan paper. These drops form a kind of all-over, spreading across the paper regardless of any defined center. The arrangement of the ink dots has been thought through before the artist begins to work; the result is determined by their order and occasional coincidences when applying the ink. The Guangdong Series from 2005 and 2006 comprises multi-layer ink paintings whose strata have been put on one after the other. With each layer displaying a specific arrangement of drops, the entire compound conveys a three-dimensional character—a pictorial world that equally emphasizes the far and the near, the black dots generally sitting on lighter layers. This contributes to the works’ cosmic appearance.
The structure of the artist’s works on paper after the Guangdong Series, from 2007 on presents itself as completely different. The sheets have only one layer of drops. Of course, we are also confronted with an interplay between the near and the far here, especially when some drops have been put on with more and others with less ink. These works, which unfold rather an earthbound than a cosmic dimension, mainly underscore the processual being by developing from top to bottom or from left to right and sometimes also reveal open areas. Powerful examples alternate with others presenting themselves with less impact which—to put it in terms of music—are essentially concerned with fermate. These develop their being out of the void: a thoroughly Far Eastern drift.
It is certainly not wrong to speak of a search for traces in regard to those works with a more open structure. One dot follows another; one comes upon little oases here and there emphasized with ink, while a world of flowing dots spreads across the rest of the paper: sometimes a kind of door opens, or we are, cartographically speaking, granted a view of an imaginary landscape.
It seems to be one of Rudolfine P. Rossmann’s basic principles to visualize opposites in her work as an artist, to dedicate herself to the dialectics of life as a law of nature: flowing/fixed, deep/flat, ordered/chaotic, etc. Her canvases disclose this approach. In the works dating from 2002 to 2004, which strike us as rigid, nothing is left to chance. Order prevails. Based on the series Lejano Lane, the Dot Series evolved: a number of canvas works in Egg tempera. Inspired by intense experiences of nature during a stay in the United States, this group of works no longer depends on the singular color elements flowing into and on top of each other, but rather on exactly applied dots. These are put on with a stamp dipped into color; their place has been determined beforehand by dividing the canvas into suitable small areas. Not each of these dots, however, resembles another in its effect. It is the color again which creates modulations. Changing the application of color results in fluctuations that remind us of the artist’s works on paper.
Badlands from 2004, for example, makes us think of a world map. Blue and brown dots alternate so that an interplay between figure and ground suggests itself to the eye. We jump from the front to the back. This grid structure entirely corresponds with today’s world of perception in which many things approach us in the form of pixels. It is up to us to not consider this pixilated world as the only truth. Artists like Rudolfine P. Rossmann continuously make us see that being always encompasses the processual. The world is in a state of flux, and art with it—this art.
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