Bewegung in der Ruhe – Ruhe in der Bewegung / Brigitta Höpler, 2001
Bewegung in der Ruhe – Ruhe in der Bewegung
Brigitta Höpler
„Ein Gegenstand sollte nach Auffassung des Buddhismus Bewegung in der Ruhe und Ruhe in der Bewegung zeigen“.
(Soetsu Yanagi)
Als ich das erste Mal diesen Gedanken des japanischen Philosophen Soetsu Yanagi las, musste ich sofort an die Bilder von Rudolfine Rossmann denken. Zugleich ist mit diesem Zitat auch schon der Hinweis auf Ostasien gegeben, einen Raum, der sich wie ein roter Faden durch ihr Werk zieht.
Im April 2001 stellte sie im Wittgensteinhaus in Wien großformatige Bildzyklen aus, deren Ursprung in Indonesien liegen. Viele Gespräche und gemeinsame Bildbetrachtungen rund um die Ausstellung „apa khabar“ (indonesisch „was gibt es neues“) sind die Grundlage für diesen Text. In diesen Gesprächen kamen wir immer wieder an die Grenzen des Sprechens über Malerei, an die Unmöglichkeit, das Wesen der Bilder in Worte zu fassen. Doch entlang dieser Grenze gelang eine Annäherung. Die Bilder weisen dem Weg, ihre Struktur überträgt sich auf den Text. Die folgenden Zeilen sind ein Versuch, dem Entstehungsprozess und dem Bildgefüge mit Worten zu folgen.
„Anschauen: alles, was den Umriß, die Kontur, die Kategorien, den Namen den es trägt, überschreitet.“
(John Berger)
Malerei hat ganz wesentlich mit Wahrnehmung und deren Umsetzung in Farbe zu tun. Und Rudolfine Rossmann ist Malerin. Die Bezeichnung Künstlerin wäre zu weit gefasst, zu ungenau, würde nicht das Wesen ihrer Arbeiten und ihres Arbeitens bezeichnen. Malerei im ursprünglichen Sinn bedeutet die von der Farbe bestimmte Flächengestaltung. Alles, was Rudolfine Rossmann ausdrücken möchte, geschieht durch die Art und Weise, wie sie die Bildleinwand bearbeitet, wie sie die Pinselstriche und die Farben darauf angeordnet sind.
Eine Vielzahl von Erfahrungen ist in ihre Malerei eingegangen. Immer wieder erzählt sie von ihren Studienreisen nach Asien; von der üppigen, tropischen Natur, von der feuchten Hitze, von der Kraft der Farben, von der Atmosphäre. Wie das Licht Landschaften, Formen und Strukturen bis zur Auflösung verändert. Wie Licht und Farbe einander bedingen. Wie Bewegung in der Ruhe, und Ruhe in der Bewegung entsteht. Wie die Atmosphäre zu flirren beginnt.
Anschauen bedeutet bei Rudolfine Rossmann ein fast meditatives Erleben des Umfeldes und der Versuch, den Mustern und Strukturen der Naturformen und –erscheinungen auf den Grund zu gehen.
Und immer wieder erzählt Rudolfine Rossmann von ihrer Sehnsucht nach diesem Raum, dieser ganz besonderen Atmosphäre.
„Der Augenblick der Inspiration, in dem die Dinge beginnen, Form anzunehmen, ist im allgemeinen mit einer Rückkehr zu einer versunkenen Erfahrung verbunden“.
(Michel Butor)
Ihre Bilder sind weniger Erfindungen, als das Aufspüren von Erinnerungen. Eine Rückkehr, die sich in Farbe manifestiert. In dem sich bildenden Ganzen spürt sie die Notwendigkeit einer bestimmten Farbe, eines bestimmten Tons. Sie beginnt danach zu suchen, daran zu arbeiten „in einer Sehnsucht nach einer bestimmten Erfahrung, nach einer Stimmung. Da tauchen Klänge auf, Formen und Farben. Und irgendwann geht es nur mehr um einen Farbwert“. Rudolfine Rossmanns Bilder sind abstrakt im weitesten Sinn: Anklänge, Spuren, Rückerinnerungen an gesehene und erlebte Naturformen.
Einer Bildlogik folgen, die nicht unbedingt vorher festgelegt ist. Die aber doch einen gewissen Zwang ausübt. Die Hingabe an diesen Prozess, den Rudolfine Rossmann auch als Spiel erlebt ist wesentlich für ihre Malerei. Malen, dass etwas auftauchen möge, ein Wiederfinden, aber auch Überraschung.
„Struktur: Anordnung der Teile eines ganzen zueinander; innere Gliederung; Beziehungsgefüge“
(Brockhaus)
Malen, einer Erfahrung, einem Eindruck, einer Erinnerung Gestalt und Struktur geben. Malen, das Erleben und die Darstellung im Bild vereinen. Das Wesentliche vom Zufälligen sondern, die Teile anordnen, sich vom entstehenden Ganzen führen lassen; bei Rudolfine Rossmann ein Spiel von Gegensätzen: Bewegung/Ruhe, Fläche/Tiefe, Ordnung/Sinnlichkeit. Die Bewegung manifestiert sich im Bild nicht als Spur expressiver Gesten, sondern als Folge dicht gefügter Komposition. Diese Verdichtung ist ein Schlüssel zur Eigenart des Werkes. Pinselstrich für Pinselstrich aufgetragen, Malschicht über Malschicht gelegt, wächst die Struktur der Bilder. Diese fast schon meditative Art des Farbauftrags lässt die seltene, und darum besondere Qualität der Langsamkeit in die Komposition einfließen. Die Überlagerung verschiedener Strukturen aus Farb-
flecken, Punkten und Strichen bewirkt ein ganz eigenes Flirren und Vibrieren. Die Bilder bekommen etwas Organisches, fast Lebendiges. „Zwischenräume“ halten die feine Balance zwischen Fläche und Raum. Tiefe, hervorgerufen durch die Art des Farbauftrags, ist empfunden, nicht illusionistisch.
Rudolfine Rossmann erzeugt geordnete Zustände und Strukturen, die vor allem auf erlebte und nacherlebbar gemachte Farbtöne gegründet sind. Immer lässt sie sich auf sich selber ein, geht angesichts der Naturerscheinungen von eigenen Gefühlen und Stimmungen aus. „Gerasterte Emotionen“ zeichnen ihre Bilder aus.
Rudolfine Rossmanns Bilder fordern Zeit und Konzentration, einen „langsamen Blick“, um sich „im Zwischensein“ zu verlieren, um „anzuschauen“ im Sinne von John Berger.
„Komposition ist ein absolutes Geheimnis. Sie wird vom Inneren diktiert. Der Künstler sucht nach bestimmten Klängen oder Linien, die seinem Inneren entsprechen und schließlich nach einer Anordnung, die für ihn stimmig ist. Diese Kompositionen rufen im Betrachter bestimmte Gefühle hervor. Manche Kompositionen sprechen diesen an, manche jenen. Doch wenn sie im Inneren des Künstlers keinen Anklang finden, werden sie niemanden ansprechen. Komposition und Anklang im Inneren sind wesentlich für das Kunstwerk“.
(Agnes Martin)
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MOTION IN STILLNESS, STILLNESS IN MOTION
Birgitta Höpler
„According to Buddhism, every subject ought to display motion in stillness and stillness in motion.“
(Soetsu Yanagi, The Unknown Craftsman)
When I first happened on this thought in a book by the Japanese philosopher Soetsu Yanagi, Rudolfine Rossmann’s pictures sprang to mind immediately. The quotation also refers to East Asia, a world that constitutes a central issue of her work.
In April 2001, Rudolfine Rossmann presented several large-format cycles of Indonesian origin in Vienna’s Wittgensteinhaus. Numerous conversations and Joint explorations centering around the exhibition „apa khabar“ (which is Indonesian for „what’s new?“) form the basis for this text. In these conversations, we repeatedly reached the boundaries of what language can convey about painting and were faced with the impossibility to capture the essence of the pictures in words. Yet, an approach could be achieved along these boundaries. The paintings showed the way, their structure is reflected in the text. The following lines are an attempt to fathom the genesis of the pictures and their System with words.
„To look: at everything which overflows the outline, the contour, the category, the name of what it is.“
(John Berger, The Sense of Sight)
Painting is essentially related to perception and its transformation into color. And Rudolfine Rossmann is a painter. To call her an artist would be too wide, too inaccurate a term, would not de- scribe the nature of her works and her approach. In its original sense, painting means the structuring of an area by means of color. Everything Rudolfine Rossmann expresses is connected to the way she works the canvas, positioning her brushstrokes, applying her colors.
A wide range of experiences has found its way into her painting. Again and again, she returns to her stays in Asia, to the luxuriant tropical Vegetation, the humid heat, the power of the colors, the atmosphere. Recollecting how the light changes, how it dissolves landscapes, forms, and structures. Commenting on how light and color presuppose each other. Hinting at how motion grows out of stillness, and stillness out of motion. Remembering how the air begins to shimmer.
For Rudolfine Rossmann, looking at things is an almost meditative experience of one’s surroundings, an attempt to get to the bottom of the patterns and structures of natural forms and appearances. Again and again, Rudolfine Rossmann returns to her longing for this world and its particular ambience.
„The moment of inspiration in which things begin to take shape generally goes hand in hand with a return to a lost experience.“
(Michel Butor, Die unendliche Schrift)
Her pictures are no inventions but rather unearth memories, articulate a return manifesting itself in color. And with the whole taking shape, Rudolfine Rossmann begins to feel the necessity of a
certain color, a certain tone. She Starts looking for it, working on it – „longing for a special experience, a special mood. Sounds, forms, and colors emerge. And at some point, it’s just the tone that matters.“ (R. Rossmann) Her pictures are abstract in the widest sense of the word: echoes, tracks, memories of natural forms seen and felt.
Following a visual logic that is not necessarily fixed in advance. Yet exercises a certain pressure. That Rudolfine Rossmann surrenders herself to this process which she also regards as a game is crucial for her painting. To paint so that something may emerge – a re-encounter, but also a surprise.
„Structure: arrangement of the parts of a whole in regard to each other; inner Organization; texture of relations.“
(Brockhaus)
Painting as giving shape and structure to an experience, an impression, a memory. Painting as uniting experience and representation in a picture. Separating the essential from the random, arranging the parts, letting oneself be guided by the whole that develops. In Rossmann’s works, this is an interplay of opposites: motion – stillness, area – depth, order – sensuousness.
Motion does not manifest itself as a trail of expressive gestures in her paintings but results from densely structured compositions. This density is a key to the specific nature of her work. The structure of her pictures grows with each brushstroke, with each layer of paint covering the other. This almost meditative form of applying paint lends her compositions the rare and very special quality of slowness. The overlapping of various structures of paint marks, dots, and lines creates a shimmer and vibration of its own. The pictures turn into something organic, something almost alive. A kind of interstice guarantees the subtle balance between area and space. Depth, resulting from the way in which color is applied, is something felt and has nothing illusionistic.
Rudolfine Rossmann creates States and structures that are mainly based on tones that have been experienced and can be relived. She always gets involved with herself and, in the face of natural phenomena, draws on her own feelings and moods. Her pictures are characterized by „rastered emotions.“
Rudolfine Rossmann’s paintings require time and concentration, a „slow inspection“ in order to lose oneself in their „interstitial“ being, to be able „to look“ in john Berger’s meaning of the word.
„Composition is an absolute mystery. It is dictated by the mind. The artist searches for certain sounds or lines that are acceptable to the mind and finally an arrangement of them that is acceptable. The acceptable compositions arouse certain feelings of appreciation in the observer. Some compositions appeal to some and some to others. But if they are not accepted by the artist’s mind they will not appeal to anyone. Composition and acceptance by mind are essential to art work.“
(Agnes Martin, Writings)
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